„Erwachsene erinnern sich nicht daran wie es war, ein Kind zu sein, auch wenn sie es behaupten. Sie wissen es nicht mehr. Glaub mir. Sie haben alles vergessen. Wie viel größer ihnen die Welt damals erschien. Das es mühsam sein konnte, auf einen Stuhl zu klettern. Wie fühlte es sich an, immer hoch zu blicken? Vergessen. Sie wissen es nicht mehr. Du wirst es auch vergessen. Manchmal reden Erwachsene davon, wie schön es war, ein Kind zu sein. Sie träumen sogar davon, wieder eins zu sein. Doch was haben sie geträumt als sie Kinder waren? Weißt du es? Ich glaube sie träumten davon, endlich erwachsen zu sein.“ — Cornelia Funke
Worte die in mir nachhallen - ja Vieles, unendlich Vieles gerät in Vergessenheit. Und doch bin ich dankbar, dass mir unendlich viele Dinge aus meiner Kindheit geblieben sind.
Dinge die mich stark machen, den oftmals herausfordernden Weg der bindungsorientierten Erziehung - obwohl es so viele Ratschläge und Gegner von außen gibt - zu gehen.
Ich kann mich an so Vieles so gut erinnern. Wer mich kennt, weiß ich habe nicht unbedingt die unkomplizierteste Kindheit gehabt - aufgewachsen bei meiner Oma, eine Mama die so viele Kilometer entfernt in Amerika lebt, vom Vater getrennt, mit dem eigentlichen Wunsch zum Kind und in die Heimat Deutschland zurückzukehren und dies bis heute nie getan zu haben, die Oma die an einer schweren Krankheit litt und innerhalb von 3 Monaten verstarb, der Zusammenzug mit Marcus während der Ausbildung, da ich dann keine wirkliche Bleibe mehr hatte...
Viele Stolpersteine, viele Schicksalsschläge die meine Kindheit und Jugend ausgemacht haben und doch bin ich unendlich dankbar für jede einzelne Erfahrung so schmerzlich sie auch in dem Moment war. Denn ich habe daraus die Kraft geschöpft an die wahre Liebe und das Gute zu glauben. Mit Liebe, Dankbarkeit, ein wenig Naivität, Leichtsinn, Freude und manchmal auch einer gesunden Portion Traurigkeit, Wut und Verzweiflung das Leben zu sehen und mich aus allem wieder hinauszuheben.
Ich kann meinem Kind dank aller Erfahrungen bedingungslose Liebe schenken (mit der Einstellung - kein KIND auf dieser WELT muss auch nur eine ERWARTUNG der ELTERN erfüllen, nein, ich bin sogar der komplett umgekehrten Meinung, ich bin der Meinung, KINDER haben das RECHT auf ERWARTUNGEN an IHRE ELTERN - sie sind in dem Moment noch so klein, abhängig von uns und der festen Überzeugung, dass alles was wir tun absolut das Richtige ist und damit denken sie automatisch, dass Schimpferei, Drohungen, Bestrafungen, der Zwang nach Gehorsamkeit, Gewalt auf verbaler Ebene, ja sogar körperlicher Gewalt - absolut in Ordnung ist und sie falsch sind!!!)
Zum Glück weiß ich all diese Dinge heute besser. Ich weiß wie perfekt Kinder sind. Sie haben wie jeder einzelne Mensch auf dieser Welt unglaublichen Respekt verdient -denn Kind sein ist verdammt schwer und anstrengend.
Ich bin in der Lage - vermutlich geprägt durch meine Kindheit, meine vielen Erinnerungen an die magischen Momente wie z.B. Weihnachten, die Momente des vertieften Spielens, aber auch der Verzweiflung bei einem Streit mit den besten Freundinnen, die Einsamkeit, wenn man mal wieder beschimpft wurde, die Frustration, wenn die Eltern (oder Oma) einem das Gefühl geben nicht gut genug zu sein, Dinge sowieso nicht zu können, weil niemand einem das Gefühl gibt etwas zu können. Sich nicht gesehen zu fühlen - all die positiven magischen Momente einer Kindheit, ja aber auch die anderen Momente sind mir noch gut im Kopf - als wären sie gestern gewesen.
All diese Erinnerungen ermöglichen mir das oftmals problemlose Hineinversetzen in Paul und in all die wundervollen kleinen Mini-Menschen die mich umgeben. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Ihnen das Gefühl zu geben perfekt und gesehen zu sein. Ich bringe die Geduld in schwierigen Situationen auf, das Vertrauen, dass alles wie wir es mit Paul machen genau richtig ist und das Reflektieren aller Wunden, die in mir noch heilen dürfen - ich lerne durch Paul sehr viel und jeder der sich wirklich auf diese Erfahrung einlässt und beginnt alte Erziehungsmethoden von sich zu hinterfragen und zu schauen: „Hey, es funktioniert echt ohne schimpfen, drohen, schreienlassen, herabsetzen der Gefühle, erzwungene Gehorsamkeit…“ - wird sehen, dass sich das ganze Leben noch einmal stark ändert - es kommen schmerzliche Momente hoch, aber diese dürfen nun heilen und führen dazu, dass unsere Kinder diese Wunden nicht auch mit sich tragen müssen.
Wir sind dafür verantwortlich unsere Kinder zu psychisch gesunden, selbstbewussten Menschen zu erziehen - und ja, es ist sicherlich anstrengender, als der Weg, dass die Kinder uns untergeordnet sind und das machen müssen, was wir wollen, eben das, was in dem Wort erZIEHUNG steckt.
Aber ich sehe in jeder BEziehung die ich mittlerweile führe, viel mehr Tiefgang, Verständnis, Wachstum und Liebe. Ja auch die Beziehung zu Marcus hat sich mit Paul komplett geändert - das mal gesondert ;-) - Jede BEziehung ist so wertvoll, einzigartig und unglaublich schön. Ich liebe Paul genauso wie er ist, ich würde nicht ein Haar, nicht einen Charakterzug ändern wollen - klar, dass heißt nicht, dass er mich nicht ab und zu auf die Palme bringt :-D, denn überall wo man BEziehungen lebt, gibt es Reibung, es prallen viele verschiedene Persönlichkeiten und Bedürfnisse aufeinander, die muss man erst mal alle miteinander vereinbaren - aber auch das ein anderes Mal ;-)
Ich wollte mit meinen Worten nur zum Nachdenken anregen, sich in so vielen Situation mal in die Minis hineinzuversetzen und auch mal an Momente deiner Kindheit zu denken - wie hat es sich angefühlt so klein, hilflos und irgendwie komplett ohnmächtig zu sein - nicht verstanden von den Eltern - viel Schamgefühle mit sich zu tragen und viel Frust, weil vieles noch nicht so gelingt wie man es gerne würde.
Kind sein ist verdammt hart - versucht einfach mal ihre Perspektive einzunehmen - alleine bei einer Kleinigkeit, wie Anziehen - es bestimmt ein anderer wann du deine kostbare Zeit - die du gerade gerne mit deiner Arbeit, dem Haushalt etc. oder als Kind eben mit spielen, toben oder Welt entdecken - aufgeben sollst um jetzt die blöde dicke Winterkleidung anzuziehen und raus in die Kälte zu müssen. Hier kann man Kindern, wenn es der Tag erlaubt - gerne mal ein zeitliches Mitspracherecht einräumen - und es für alle schöner und entspannter machen - jeder in der Familie kann mit Geduld und Liebe einfach diese Momente schöner und stressfreier gestalten.
Glaubt mir - wir haben ein sehr gefühlsstarkes und willensstarkes Kind (was wir lieben und fördern, da genau diese Eigenschaften ihm später eine große Hilfe sein werden) - aber es gleichzeitig für uns oft sehr herausfordernd macht - wir gehen den ganzen Tag viele viele Kompromisse ein - angefangen beim Anziehen, Zähne putzen, Frühstück ... Das ist nicht immer leicht, aber dafür immer richtig. Wie heißt es so schön "Do what is right. Not what is easy!" - Martin Luther King
