Wunder


…so heißt der Titel des Films, den Marcus und ich uns zu unserem 4. Hochzeitstag mit Antipasti und Käse angesehen haben. Wir wollten etwas mit Tiefgang sehen, so selten wie wir gerade zum Filmschauen kommen und dabei richtig lecker schlemmen.

 

Der Tiefgang kam umgehend und hielt knapp 2h an, in denen ich kaum einen Bissen herunter bekam. Wunder - ein Film der viel in mir ausgelöst hat. Ich habe viel weinen müssen und er hat mir und damit vermutlich auch Marcus und Paul eine unruhige Nacht bereitet.

 

Ich habe so unglaublich viele Erkenntnisse aus dem Film gewonnen wie schon lange nicht mehr.

 

Zum einen habe ich mich geschämt für jedes Mal wo ich über einen unbekannten Menschen irgendeine dumme Bemerkung gemacht habe (vor allem Fremde auf der Straße). Das steht einem nicht zu, weil wir alle, jeder einzelne von uns Wunder sind. Jeder von uns war mal ein Kind und jeder einzelne von uns hat seine Geschichte und sein Päckchen zu tragen. Wir können nie alles bei einem Menschen sehen - nur von unseren engsten Vertrauten kennen wir die Geschichte und nicht mal von ihnen die ganze Wahrheit.

 

Noch nicht so lange aber schon eine ganze Weile beschäftige ich mich mit dem Thema bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung, gewaltfreie Kommunikation, Begegnen auf Augenhöhe etc. und vor allem dieser Film hat mir wieder genau gezeigt, warum mir dieses Thema so unfassbar wichtig ist.

 

Kurze Zusammenfassung des Films, für alle die ihn nicht gesehen haben - es geht um einen kleinen Jungen namens August, er kommt mit einem Genfehler zur Welt und musste in seinem zarten Alter von 10 Jahren schon viele Operationen über sich ergehen lassen - mit medizinischer Hilfe kann er normal atmen, sehen, riechen und hören, aber sein Gesicht hat leider nie die normale Optik eines Kindes erhalten können. Viele Kinder hänseln ihn deshalb - ja gruseln sich zum Teil vor seinem aussehen, können sein Auftreten einfach nicht verstehen - er ist dadurch selbstverständlich sehr eingeschüchtert, oft einsam und verliert oftmals das Vertrauen in die Menschen um ihn herum. Er wurde lange Zeit von seiner Mutter zuhause unterrichtet, ab der 5. Klasse wollen sie das jedoch ändern und ihn auf eine normale Schule gehen lassen. Dies ist mit vielen negativen aber auch unglaublich tollen Erfahrungen und Erlebnissen für ihn geprägt. In der ganzen Geschichte gibt es auch noch eine große Schwester - Via - sie hat schon früh gelernt wegen der Krankheit ihres Bruders unauffällig zu sein, zurückzustecken und akzeptiert dass ihr kleiner Bruder all die Aufmerksamkeit bekommt - was irgendwie traurig aber „leider“ verständlich ist, da die Eltern viel mehr Herausforderungen und Energie für den kleine August meistern und aufwenden mussten. Auch andere Charaktere spielen eine große Rolle in dem Film, aber das würde jetzt zu ausufernd werden. Deshalb kurz, er findet gute Freunde und es gibt einen Jungen, der ihn ärgert, bösartig ärgert - und hier kommt mein Hauptthema das mich unglaublich beschäftigt. Dieser Junge namens Julian, wirkt arrogant, man kann in dem Film auch kurz erkennen wo er diese Eigenschaft her hat - von seinen Eltern - sie haben ein Problem damit, dass August auf diese Schule geht und generell wirken sie sehr kalt, distanziert und stigmatisierend und rassistisch. Hier erkennt man genau, dass Julian sich die Aufmerksamkeit zuhause stark verdienen muss, dass er diese vermutlich selten bekommt und deshalb ganz viel Anerkennung in der Schule bei Lehrern und Mitschülern sucht. Er fühlt sich „überlegen“ - weil er es so von seinen Eltern vorgelebt bekommt und doch ist es alles ein stiller Schrei nach Liebe, Anerkennung, Wertschätzung und Geborgenheit - die er zuhause nicht erhält und auch hier löst der Täter ein riesen Mitgefühl aus. Unsere Kinder und später die Erwachsenen sind die ‚Produkte‘ ihrer Umwelt.

 

Jeder von uns ist ein Wunder - jeder von uns kommt zwar mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Vorlieben und Talenten zur Welt und doch haben wir ab dem Tag unserer Geburt absolut alle etwas gemeinsam. Wir kommen als „gutes“ Wesen zur Welt - wir alle tragen viel Liebe in uns, bis bei manchen leider die Geschichte eingreift - ob in Form von unseren Eltern, Großeltern, Nachbarn, Erziehern, Lehrern, Mitschülern, Freunden… manchmal gibt es leider Schicksalsschläge die man nicht beeinflussen kann, aber wir Eltern sind absolut ALLE in der Lage unsere Art, unsere Lebensweise unsere Geschichte, unser Handeln etc. zu reflektieren und wir Menschen sind EIGENTLICH alle in der Lage eine Perspektivübernahme einzugehen und uns in unsere Kinder und Mitmenschen hineinzuversetzen - ich schreibe eigentlich, da mir durchaus bewusst ist, dass es immer mehr Menschen gibt die sehr mit sich selbst zu tun haben, leider nicht an diesen Punkt im Leben kommen, weil das Mangeldenken und die Umstände ihres Lebens sie gelähmt hat. Aber für alle anderen wünschen ich mir sooooo sehr, das zu sehen und zu verstehen, dass es nicht unsere Aufgabe ist unsere Kinder zu formen, ihnen Werte und Regeln aufzuerlegen die nicht zu ihnen als Mensch passen. Nein, es ist unsere Aufgabe ihnen in jedem Bereich ein Vorbild zu sein. Das Imitieren beginnt bereits in Pauls Alter von 1,5 Jahren und er trägt so viel Liebe und Gutes in sich. Er küsst, umarmt, teilt sein Essen und das alles, weil er das bei uns sieht und uns zurückgibt - genauso können wir negative Dinge an ihm erkennen - DIE ER VON UNS GELERNT HAT und IMITIERT.

 

Kinder sind in dem Alter in der Autonomiephase, die gerne aus negativer Sicht als Trotzphase bezeichnet wird, was völlig falsch ist. Kinder möchten sein wie ihre größten Vorbilder, wie Mama und Papa und machen alles nach. Sie imitieren und kopieren von uns so viel sie können, ob sie diese Fertigkeit bereits beherrschen oder nicht spielt keine Rolle, sie wollen es selbst tun und wenn man sie daran hindert, können sie - zurecht - wütend werden. Das zeigt nur ihre Wissbegierde und den Drang zu lernen, also etwas richtig tolles. Leider wird es oft bei vielen durch volle Terminkalender, schlechte Laune oder zu wenig Geduld nicht als nötig erachtet, den Kleinen ihre Erfahrungen machen zu lassen, was zu dem Unwort „Trotz“ führt. Würde wir das Beispiel allerdings auf Erwachsene anwenden, wäre dies völlig undenkbar.

 

Beispiel: Mama sieht bei Papa, dass er toll Skifahren kann und möchte es auch versuchen. Voller Elan steigt Mama auf die Bretter und will losdüsen, so wie Papa es gemacht hat. Da zum Skifahren viel Übung gehört, fällt Mama natürlich hin. Sie ist dann sauer auf die Situation, dass es nicht direkt so klappt wie bei Papa aber voller Elan und dem Willen es so lange zu probieren, bis es klappt. Papa will es aber nicht mehr zeigen, ist genervt und will die Verabredung mit Freunden in der Sauna nach dem Skifahren nicht verpassen und reagiert wie folgt: Er nimmt Mama die Skier weg, sagt, das sei nur etwas für Sportler und sie soll bitte mit der Seilbahn wieder ins Tal fahren, damit er nicht zu spät in die Sauna kommt.

 

Welche Gefühle hinterlässt das bei der Mama wohl? Und dabei ist sie als Erwachsener in der Lage die Situation zu beurteilen, reflektieren und bewerten und sagt sich, dass Papa vielleicht einen schlechten Tag hat und keine Geduld, und er es sicher morgen nochmal probiert - aber was löst es in einem Kind aus, dass diese Eigenschaften noch nicht hat?

 

Und schon ist jeder Gefühlsausbruch eines Kindes erklärbar und zeigt uns, dass unsere Kinder gerade in der Situation am meisten unsere Zuneigung brauchen und verdienen und dann auch imitieren, wie wir uns in der Situation verhalten.

 

Bitte bitte öffnet eure Herzen für eure Mitmenschen und vor allem für eure Kinder. Redet mit ihnen wie ihr möchtet, dass man mit euch redet. Habt ganz viel Verständnis und Mitgefühl. Begleitet sie voller Liebe und Respekt durch die Palette ihrer Gefühlswelt -AUCH DIE NEGATIVEN - seid für sie da wie ihr euch wünscht, dass jemand für euch da wäre.

 

Lasst uns für unsere Kinder die Welt wieder zu einem besseren Ort werden und das kann sie nur, wenn wir an uns arbeiten und unseren Kindern wieder erlauben Kinder zu sein und sie respektvoll zu begleiten.